Lucia di Lammermoor
Staatstheater Nürnberg
“Es ist verblüffend und schlüssig, wie hier der Belcanto ins Heute geholt wird. (…) Dass alles nie aufgesetzt oder nur konzeptionell verfremdet wirkt, liegt an der hohen theatralen Qualität und immensen Intensität des Abends. Ilaria Lanzino arbeitet minuziös, und doch ist nichts nur choreografiert. Jede Szene entwickelt sich vollkommen natürlich, jede Geste, jeder Blick, jedes Detail stimmt. (…)
Dieser «Luca di Lammermoor» hat das Zeug zur Kult-Aufführung – die Ovationen am Ende sprechen Bände und viel mehr noch die hustenfreie Stille davor.“
Die Opernwelt
“Ungewöhnlich wie fesselnd. (…)Eindrucksvoll wie gut dieses Konzept zu Donizetti passt, wie perfekt es umgesetzt ist, wie beklemmend die eigentlich absurde Romanze wird.
Selbst die viertelstündige Todesszene am Schluss, die fast immer unfreiwillig komisch wirkt, hat Ilaria Lanzino im Griff. Insgesamt ein gründlich entstaubter zum prallen Leben erweckten Donizetti auf der Höhe unserer gesellschaftlichen Debatte.”
Bayerischer Rundfunk
“Donizettis populärste Oper als Geschichte über ein schwules Outing? (…) Das Phänomenale ist, das geht auf. Ilaria Lanzino beweist das in Nürnberg mit einer bestechenden Inszenierung. Was dazu kommt: die Regie ist hoch theatralisch, hoch musikalisch und so schauspielhaft intensiv gestaltet, dass man glaubt, man ist nebenan auf der Schauspielbühne (…)
Das Stück wird durch die Eingriffe nie verfälscht .Opern-Orthodoxe mögen aufstöhnen: Ja, dafür sind Eingriffe nötig. Doch die sind minimal inversiv, meist wird die weibliche Wortform durch die männliche ersetzt. Am stärksten betrifft es die Tenor-Rolle des Arturo, im Original Lucias Zwangsgatte und Tenor. In Nürnberg tritt Mezzosopranistin Sara Šetar als Lucas verordnete Hetero-Partnerin auf. (…) alles geht auf. Verblüffend ist das, in manchen Neubewertungen bestechend – die gespannte Stille im Premierenpublikum spricht Bände. Alle emotionalen Kraftfelder, alle Figurenkonstellationen bleiben erhalten. Das Stück wird nie verfälscht oder krampfig zurechtgebogen. Man verfolgt tatsächlich eine ins Heute geholte Intensivierung und Übersteigerung der Donizetti-Oper. Was auch daran liegt, dass die Aufführung eine hohe theatrale Qualität hat. (…) Ilaria Lanzino muss eine immense, das Gesangspersonal restlos überzeugende Motivationsarbeit geleistet haben. Es ist eine jener Produktionen, die das Gefühl geben: Es läuft von allein. Weil alle ums Wohl und Wehe ihrer Figuren wissen, darum, welche Gesten und Blicke gerade erforderlich sind. Wie überhaupt Regisseurin Ilaria Lanzino immer wieder Satirisches und feine Komik platziert, auch metrosexuelle Choreografien (Valentí Rocamora i Torà) – die Fallhöhe ist dadurch nur umso größer.
Lucas und Edgardos Geschichte endet schließlich als Romeo-und-Julia-Tragödie. Was das heißt, davon sollte man sich per Fahrt nach Nürnberg selbst überzeugen”
Markus Thiel
München Merkur
”Ilaria Lanzino hat Donizettis Oper mit einer bewundernswerten inneren Konsequenz aus der Ecke der romantischen Schauerballade geholt und einen Weg gefunden, die zugrunde liegenden Vorstellungen von Weiblichkeit und Wahnsinn von der Hysterie weg in ein zeitgemäßes Psychogramm einer verpönten Beziehung zu transferieren, ohne dem Stoff Gewalt anzutun. (…) Wie Lanzino im Programmheft sagt, fließen in ihre Arbeit „meine eigene Erfahrung sowie die von vielen Menschen ein, denen ich persönlich begegnen durfte oder über die ich recherchiert habe“. Das ist in den sorgsam ausgearbeiteten Szenen spürbar, und das hebt dieses „Lucia“-Experiment über die vielen übergestülpten Psychiatrie- und Irrenhaus-Szenarien hinaus, die Donizettis Oper in den letzten Dezennien über sich ergehen lassen musste.Ilaria Lanzino hat in Nürnberg eine gewagte, tief reflektierte und trotz aller Eingriffe mit dem Werk respektvoll umgehende Inszenierung auf die Bühne gebracht, die Donizettis Meisteroper radikal im Horizont aktueller gesellschaftlicher Debatten verortet. So gestaltet ist die Belcanto-Oper nicht aus der Zeit gefallen, sondern zeigt in der Befreiung aus dem Korsett ihrer Epoche Relevanz jenseits der schönen Töne. Ähnlich muss Lanzino in Poznań vorgegangen sein: Für ihre Inszenierung von Stanislaw Moniuszkos Opernfragment „Jawnuta“ erhielt sie am 9. November den International Opera Award in der Kategorie Wiederentdeckung.“
Online Merker
"Lucia di Lammermoor" wird gay: Regisseurin wagt in Nürnberg originelle Variante des Opernklassikers. (…) Doch die italienische Regisseurin Ilaria Lanzino hat nicht die von Scotts Erfolgsroman "The Bride of Lammermoor" inspirierte schottische Schauerromantik im Sinn. Nein, Lanzino geht der Frage nach, warum die Titelfigur den Verstand verliert und zur Mörderin wird. Ihre Antwort verändert dieses Werk in einem entscheidenden Punkt: Sie macht aus der schottischen Adelstochter Lucia den jungen Mann Luca und damit eine Hosenrolle für die Sopranistin Andromahi Raptis (…) Wenn man das Libretto in den im Opernhaus gezeigten Übertiteln mitliest, staunt man, wie sehr das die originale Liebe von Lucia und Arturo nicht nur abwertende, sondern regelrecht verdammende Vokabular auf die heutige Ausdrucksweise von Gegnern queerer Lebensweise und Gegnern der LGBTQ*-Community passt. In dieser Atmosphäre aus Niedertracht und Hetze wird Luca und Edgardo kein Privatleben, kein intimer Schutzraum gegönnt, Ilaria Lanzino skizziert überzeugend das Porträt einer Gesellschaft, die allem, was sie als fremd und damit als sie gefährdend empfindet, die Luft abdrücken will. (…) Diese szenische Sensibilität findet ihre Entsprechung in der Musik. (…) Insgesamt gelingt dieser fast einhellig mit Applaus bedachten (ganz wenige Buhs gegen die Regie) "Lucia di Lammermoor" eine sehr heutige und in der Tragik unterdrückter Lebensentwürfe leider zeitlos aktuelle Perspektive auf einen Klassiker des Repertoires.“
Nürnberger Nachrichten
“Ilaria Lanzino inszeniert mit „Tatort“-Präzision (…) Lanzino vergaß bei ihrer schwulen Tragödie von Luca und Edgardo also nicht den objektivierenden Funken Empathie für jene, die in den Fesseln ihrer toxischen Heteronormativität die Katastrophe heraufbeschwören. Diese Romeo-und Julius-Variante funktionierte klar und plausibel. Die Intrige aufgefangener Briefe ersetzte Lanzino, die sich genau mit vielen tagesaktuellen Problemen queerer Communities auseinandersetzt, durch eine Gewaltattacke aus der Familie gegen Edgardo. Diesem klaut man – drastisch ausgespielter Fall von antischwuler Gewalt – das Smartphone und bläut Luca dann mit Fake Messages den vermeintlichen Treuebruch ihres Lovers ein. Alles nachvollziehbar wie in einem guten „Tatort“. Anstelle eines Anfalls von Wahnsinn phantasiert Luca ihre schwule Hochzeit im Kreis ihrer queeren Freund*innen (Choreographie: Valentí Rocamora i Torà). Edgardo ersticht sich nicht selbst, sondern wird brutal erstochen. (…) Lanzino entwickelt Mitgefühl sogar für den queer-feindlichen Priester Raimondo (erst knurrig, dann schnurrig: Nicolai Karnolsky), wertet die von der Regie oft vernachlässigte Alisa zur Solidarkomplizin Luc(i)as auf (voll gut: Anna Bychkova) und macht Donizettis Erzschurken Normanno zum Schwulenhasser (profilierte Leistung: Joohoon Jang). Die Liebesszenen bis zum angedeuteten Blowjob sind unverkrampfter als in queeraffinen Soaps. Andromahi Raptis bewegt sich mit einer Natürlichkeit und selbstverständlichen Emotionalität so, als sei sie auf der Bühne schon oft ein grundsympathischer junger Mann gewesen. (…) Lautstarker Applaus”
Neue Musik Zeitung
“Endlich wird sich in der Nürnberger Oper mal ein bisschen mehr getraut: In der Inszenierung von Ilaria Lanzino wird aus Lucia Luca, aus der hetero eine queere Beziehung (…) Regisseurin Ilaria Lanzino macht in ihrer mittlerweile dritten Inszenierung an der Oper am Staatstheater Nürnberg aus Lucia nun Luca, eine Figur, die man im gegebenen Kontext sowohl als trans als auch cis Mann, oder sogar als nicht-binär lesen kann (im Folgenden werden für Luca er/ihm Pronomen verwendet). Luca liebt Edgardo, was in den Augen der versteiften, konservativen Gesellschaft, die Luca umgibt, natürlich überhaupt nicht geht. So eine Liebe sei „abscheulich“ und „krank“. Luca soll also eine Frau heiraten – aus Arturo wird Emilia gemacht. Diese Änderungen haben auch eine Konsequenz für das Ende, denn dem Liebespaar wird durch einen Gewaltakt Enricos das Happily Ever After verwehrt. (…) Nicolai Karnolsky spielt den Priester Raimondo, der zwar erst im Dienste Enricos ganze Überzeugungsarbeit an Luca leistet, sich in Lanzinos Fassung am Ende jedoch auf die Seite des queeren Paares schlägt – und dafür prompt seines Amtes enthoben wird. Ein nettes Detail, das gleichzeitig Kritik an der Kirche und ihrer Haltung gegenüber Queerness aufgreift. Ein weiteres solches gelingt der Regisseurin, indem sie den gewalttätigen Tod einer trans Frau auf die Bühne holt und damit an die zahlreichen Opfer von Gewalt gegenüber trans Menschen erinnert. (…) Glücklicherweise scheut sich Lanzino nicht, die Liebe zwischen Luca und Edgardo explizit zu machen und hält sich nicht mit scheuen Blicken oder verhaltenen Berührungen auf, die nur andeuten, wie sehr sie sich mögen: Die beiden Hauptcharaktere dürfen sich glücklich küssen und zeigen ihre Zuneigung auch körperlich. (…) Für das Genre Oper ist diese Neuschreibung von „Lucia di Lammermoor“ vermutlich ein großer Schritt, und es kann nur zu Mut aufgerufen werden, denn da geht bestimmt noch mehr. Lanzino und ihr Team haben schon mal gut vorgelegt.”
MAGAZIN.STUDIERENDE.FAU
“Nach ihren spannenden Nürnberger Regiearbeiten «Der Liebestrank» und «Talestri» war es klar, dass es der inzwischen an grossen Häusern gastierenden Italienerin Ilaria Lanzino nicht um Skandalisierung ging, sondern um gesellschaftliche Anliegen (…) Trotzdem und aufgrund der sensiblen wie klaren Figurenzeichnung wirkt die Romeo-und Julius-Variante in Lanzinos Inszenierung nicht gegen den Strich gebürstet. In Lucas Zimmer schwören sich die queere gute Partie und der nicht minder passionierte Edgardo ewige Liebe. Die Intrige aufgefangener Briefe ersetzte Lanzino, die sich genau mit möglichst vielen tagesaktuellen Positionen auseinandergesetzt hat, durch eine Gewaltattacke aus der Familie gegen Edgardo. Diesem klaut man – drastisch ausgespielter Fall von anti-schwuler Gewalt – das Smartphone und bläut Luca dann mit Fake Messages den vermeintlichen Treuebruch ihres Lovers ein. Alles nachvollziehbar wie in einem guten «Tatort». (…)
Das hätte auch schief gehen können, wäre Lanzino nicht eine Könnerin der Personenregie und psychologischen Strategie. Die Liebesszenen bis zum angedeuteten Blowjob sind selbstverständlicher und unverkrampfter als in queer-affinen Soaps. Von Seite der Sängerin und jener der Regie gehören ganz viel Sensibilität für dieses plausible wie spannende Resultat. Schliesslich galt es, Andromahi Raptis zum Verzicht auf die fraulichen Attitüden in dieser Paradepartie jeder Sängerinnenkarriere zu bewegen.
Das gelang. Das belcanteske Psychogramm dieses «Luca» stimmt, sitzt und blitzt, auch, wenn hier keine sich konventionell in Szene setzende Routine-Diva leidet. Der Schlussbeifall war so stark und nachdrücklich wie bei jeder geglückten Belcanto-Premiere.”
Mannschaft Magazin
”traurig, rührend, herzzerreißend.”
Orpheus magazin
“Neu inszeniert? Man könnte auch, mit einem modischen Wort aus den 70er Jahren, schreiben: neu befragen – denn Ilaria Lanzino hat, wie vielleicht nur sie es im Moment vermag, die Geschichte gleichsam umgestellt, um sie vom sog. Romantischen Kopf des 19. Jahrhunderts auf die Beine der Gegenwart zu stellen. (…) Regisseurin und ihren Protagonisten gelingt es, zunächst einmal eine spannende und bewegende Geschichte zu erzählen. (…) Die tragische Geschichte Lucas und Edgardos und Emilias, der geschädigten Dritten, sieht gerade so aus, als habe Donizettis Librettist Salvatore Cammarano nichts anderes geschrieben als eben jene Geschichte über die asoziale Verurteilung von Liebesbindungen, die, ginge es mit rechten Dingen zu, keiner Verurteilung unterliegen sollten. Die Statistik, die im Programmheft erläutert wird, spricht leider eine andere Sprache – und bestätigt viele Details und Ideen der Neuinterpretation, die im Grunde nichts anderes macht, als das alte Stück für uns auch szenisch-inhaltlich so zu präsentieren, dass das Ferne plötzlich ganz nah ist (…) Und seltsam: innerhalb der Inszenierung funktioniert diese die ursprüngliche Dramaturgie doch arg störende Einlage plötzlich sehr gut. Denn Lucia / Luca zeigt in seinem letzten Auftritt nicht die bekannten Anzeichen des Wahnsinns, sondern macht aus der Vision einer Hochzeit mit dem Geliebten die pure Realität und äußerst seine Fröhlichkeit, nicht seine Dissoziation, im freundlichen Wettstreit mit dem Glasharmonikaspieler.. Einwände gegen die Umwidmung auch dieser Szene gelten nicht, denn die Musik passt, wenn man sich einmal von der Idee verabschiedet hat, dass der Text wichtiger sei als der musikalische Ausdruck, ganz hervorragend. (…) auch hier stimmt jedes Wort mit dem Auftritt des Mannes, der sich als Frau fühlt, bis zur letzten Fingerregung überein; man lese nur den Text. Hinzuerfunden wurde allerdings der Männertrupp, der Spaß daran hat, den Menschen zu töten. Wie gesagt: die Aufführung übersetzt die romantisch scheinende Szene in eine Handlung, die jenen Worten eingeschrieben ist: symbolisch verschlüsselt und gerade deshalb der Realität der Tat, also des Urvätermords, die das Trauma der Erzählenden bewirkte, durchaus bewusst. Nur, dass die Tat hier keine vergangene, sondern eine immer wiederkehrende ist: Schwule werden täglich verletzt, gedemütigt, beleidigt, ermordet. Wer behauptet, dass dies nicht das Thema von Donizettis und Cammaranos „Lucia di Lammermoor“ ist, mag recht haben. Wer nach dem gemeinsamen Urgrund innerfamiliären Terrors fragt, dürfte mit der Lesart keine Schwierigkeiten haben.
Der Hinweis auf die Westside Story, in deren Nürnberger Inszenierung Andromahi Raptis einst die Maria spielte, ist leicht ironisch, aber dramaturgisch zutreffend.
Der Opernfreund
“Es gibt schöne Inszenierungsideen. Etwa wenn ein tanzendes Halbdutzend von Lucas Party-Kumpan(inn)en dessen Koloraturenkaskaden in famose Gesten und Bewegungsmuster übersetzt. Oder den Einfall, das ganze Geschehen quasi als Theater auf dem Theater spielen zu lassen. Der fast dauerpräsente und fidel choreografierte Chor sitzt als Voyeurphalanx mit Opernglas und Fotoapparat bewaffnet rund um die zentrale Eheliegstatt. Na klar, letztlich läuft doch alles auf die Frage hinaus: Wer landet bei wem im Bett? Folgerichtig ist auch in der Wahnsinnszene keine Spur von geistiger Verrückung zu spüren, sondern nur Lucas markerschütternde Verzweiflung darüber, einen Lebensbund mit einem ungeliebten Menschen einzugehen zu müssen. Dabei überrascht die Nürnberger Oper mit einer besonderen musikalischen Note: Wie von Donizetti ursprünglich vorgesehen, übernimmt ein Glasharfinist, der mit seinem Instrument auf der Bühne präsent ist, den üblicherweise von einer Harfe gespielten Part. Die Liebe ist eben zerbrechlich wie Glas und will ebenso sensitiv behandelt werden wie der Instrumentalist über die angefeuchteten Glasränder streicht.”
Opern.News